Ist gleich vorbei – Gewalt beim Frauenarzt

Ich bin heute in einer gynäkologischen Praxis, um mir ein Pessar anpassen zu lassen. Das ist ein würfelähnliches Ding aus Silikon, was in der Vagina Stabilität erzeugt, wenn man unter Senkungsbeschwerden leidet. Auf Deutsch gesagt, wenn alles unten hängt, weil man zum Beispiel Zwillinge geboren, diese auch danach gleichzeitig getragen hat und nie die Chance auf Rückbildung hatte. Ja, das gibt’s. Das kann zu Inkontinenz führen, erschwerter Verdauung und Schmerzen in den Organen und Muskeln, weil im unteren Bauch und Beckenbodenbereich die Stütze vollkommen weg ist und nichts mehr an seinem richtigen Platz ist, also auch einiges eingequetscht werden kann. Das kann bis zu massiven Darmbeschwerden und höllisches Brennen und Stechen im Körper führen, hat also weitreichende Folgen.

Der Arzt – ein älterer Herr, bei dem ich sonst nicht bin, der aber die Praxis leitet – habe ich den Termin. Ein erfahrener Mann, der sich aber mehr als unerfahren benimmt. Er holt das Pessar aus der Packung – mit bloßen Händen. Er trägt keine Handschuhe und nimmt es in seine Faust, während er noch einmal zurück zum Computer geht, um irgendetwas nachzuschauen. Er hält es in Händen, die bereits Türklinken und spackige Tastatur angefasst haben, durch seine Haare gestrichen und unter seiner Nase entlangefahren sind. Dann fällt ihm das Pessar auf den Boden. Tschuldigung nuschelt er und ich gehe davon aus, dass er es in den Mülleimer wirft und ein neues holt. Nein, er wäscht es unter fließendem Wasser ab. Ich denke, dass dies vielleicht sogar ganz gut ist, dass es auf den Boden gefallen ist und jetzt endlich von den Keimen seiner Hände gereinigt wird. Als er fertig ist, knallt er es wieder ungeschützt auf eine sich daneben befindliche Ablage. Keine Ahnung, ob diese sauber ist.

Ich beobachte alles vom gynäkologischen Stuhl aus, auf dem ich mit zusammengekniffenen Knien sitze und denke an meine Vagina, die auf Keime schnell mal mit einer Entzündung reagiert und in die ich keine Keime vom Boden haben möchte. Dann zieht er Handschuhe an, schmiert Gleitgel auf das Pessar, was mich erneut ein wenig beruhigt, da es wieder eine Schutzschicht bedeutet. Er steht vor mir uns rammt gewaltsam das Pessar in meine Vagina. Ich ziehe laut Luft durch meine Zähne und rufe „Au!“. „Ja, ist ja auch gleich vorbei,“ antwortet er lapidar. In dem Moment werde ich still.

Jetzt wäre der Moment, sich zu beschweren, aufzustehen und zu gehen. Aber ich sage nichts. Ich bin wie betäubt. Er zieht es wieder heraus und ich überlege kurz, ob es wieder so wehtun würde. Er befindet das Pessar für gut und verschreibt es mir. Ich ziehe mich wieder an, sitze stumm auf dem Stuhl und warte, bis ich alles ausgehändigt bekomme. Er scheint selbst ein wenig zu bemerken, dass ich sehr still geworden bin. Sagt noch so etwas, wie „Ich hoffe, das wird ihnen helfen“, während ich nur daran denke, wo ich mich schnellstmöglich waschen kann.

Als er die Worte „Es ist gleich vorbei“ sagte, fiel mir der ZEIT-Podcast „Ist das normal ein?“ ein. Und zwar die Folge vom 6. Mai 2024 zum Thema Gynäkologie. „Sätze wie ‚Geht auch schnell‘ oder ‚Schicke Intimfrisur‘ sind Gewalt“ sagen die Ärztinnen Colette Gras und Claudia Schumann-Doermer. Und genau das habe ich soeben erlebt. Ich bin froh, dass ich kein Mensch bin, der in seinem Leben bereits Opfer massiver sexueller Gewalt geworden ist, sonst wäre ich in dem Moment sicherlich stark retraumatisiert worden. Aber dennoch: auch ich erlebe diesen Moment als Gewalt.

Ich bekomme während meines Besuchs in der Praxis und in Präsenz dieses Mannes den Mund nicht auf, ich traue mich nicht zu sagen „Das war nicht in Ordnung“ und gleichzeitig denke ich, es bringt auch nichts, nur ihm das zu sagen, es muss das ganze Team erfahren. Der leitende Arzt würde es vermutlich nur vertuschen und nicht weiter thematisieren wollen. Also entschließe ich mich dazu, eine Email an die gesamte Praxis zu schreiben, und die gesamte Belegschaft auf das Thema Gewalt in der Gynäkologie aufmerksam zu machen, ohne mit dem Finger auf den besagten Arzt zu zeigen. Den ZEIT-Podcast mit den Hosts Melanie Büttner und Sven Stockrahm schicke ich gleich mit dazu.

>>Danke, dass es Euch beiden gibt, denn so fühle ich mich gerade nicht ganz so allein und ausgeliefert.<< https://www.zeit.de/gesundheit/2024-05/gynaekologie-arzt-angst-scham-sexpodcast