Unfall oder Mordanschlag? – Tatwaffe Auto

Podcast-Moderator:innen finden Femizid-Versuch unterhaltsam und erkennen diesen auch an keiner Stelle

„Eine junge Frau steht am Rand einer Landstraße. Sie winkt und ist voller Panik. Hinter ihr ein VW Polo, der offenbar mit voller Wucht gegen einen Baum geprallt ist. Ein Autofahrer stoppt. Und entdeckt nicht weit von der Frau auch einen Mann. Offenbar der Partner des Unfallopfers. Beide Unfallopfer scheinen auf den ersten Blick nur leicht verletzt zu sein, doch warum ist die Frau dann so außer sich? ‚Der wollte mich umbringen’, ruft sie.“ So fasst die Moderatorin Elvira Siebert des Podcasts „Im Visier – Verbrecherjagd in Berlin und Brandenburg #86“ den Tathergang zu Beginn zusammen. Dass es dabei klipp und klar um einen versuchten Femizid im Sommer 2019 geht, wird aber mit keinem Wort erwähnt. Die Tat des Mannes gegenüber seiner Exfrau wird die gesamte Zeit über als Aussage-gegen-Aussage-Prozess dargestellt. Die Frau erscheint sogar teils unglaubwürdig – so eine Gutachterin. Sie sei wankelmütig in ihrem Verhalten, hätte sich angeblich trennen wollen und dann doch nicht so richtig. Verrückterweise habe sie sogar kurz vor der Tat noch mit dem Expartner Sex gehabt und sei mit ihm und dem gemeinsamen Kind in den Urlaub gefahren. Sag bloß.

Erweiterter Suizid scheint unbekannt

Der Lokalreporter, der damals über den Fall berichtete, erzählt selbst ganz erstaunt, dass er es noch nie erlebt habe, dass ein Mann seine Frau durch einen Autounfall hätte töten wollen. An erweiterten Suizid denkt hier niemand. Die Moderatorin kichert, findet den Mord total seltsam und es recht unwahrscheinlich, dass ein Fahrer sich noch aus dem Auto hätte retten wollen, während seine Exfrau darin ums Leben kommen sollte. So etwas könnten doch nur Stuntmänner.

Ihr Todesurteil: sie trennt sich

Die Frau wird nach dem Autocrash von einem Zeugen als „hysterisch“ beschrieben. Sie sei völlig aufgebracht und berichte zitternd, dass ihr Exmann sie habe umbringen wollen. Naja, ob das mal so stimmt, bezweifelt das Moderatoren-Team aus Uwe Madel und Elvira Siebert. Aber dann wird die Vorgeschichte des Täters geschildert. Und alles wird sonnenklar – wenn man sich mit Gewalt gegen Frauen auskennt. Die Vorgeschichte entspricht 1:1 dem klassischen Ablauf vor einem (versuchten) Femizid. Bilderbuchmäßig nach dem 8-Stufen-Modell der britischen Kriminologin Jane Monckton Smith. Hauptauslöser für die Eskalation der Gewalt ist die Trennung der Frau vom Mann. Genauso ist es auch in unserem Fall. Die Frau des Angeklagten hatte sich getrennt und er konnte die Trennung nicht verkraften. Punkt. Mehr muss man eigentlich nicht mehr sagen. Das ist fast ausnahmslos der Hauptgrund, warum Männer plötzlich kaltblütig einen Mord planen. Fast nie geht es um einen Totschlag im Affekt. Auch wenn das gerne angenommen wird.  

Er terrorisiert sie – Stalking vom Feinsten

Der Fall liefert noch zig weitere glasklare Schritte, die nach dem Modell von Monckton Smith so typisch sind: Die Frau des Angeklagten zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus, und er will das nicht akzeptieren. Fast täglich geht er zu ihr in die neue Wohnung und redet auf sie ein, will sie davon überzeugen zurückzukommen, sonst würde er in der Psychiatrie landen. Er geht sogar noch weiter, droht ihr mit Suizid. „Es wird uns beide bald nicht mehr geben und die Kinder werden bei den Großeltern aufwachsen“, so seine Worte. Er hatte wohl enormen psychischen Druck aufgebaut, so als wollte er ihre Zuneigung erpressen. Der Richter Theodor Horstkötter, berichtet, der Täter wollte nicht loslassen, ist seiner Expartnerin immer wieder nachgestiegen, hat sie beobachtet, zu Tag- und Nachtzeit, ist von Zeugen in der Nähe der neuen Wohnung gesehen worden, wollte sehen, ob da ein neuer Mann in ihrem Leben ist. Also Stalking und psychische Gewalt vom Feinsten. Aber auch das wird im Podcast an keiner Stelle beim Namen genannt, vielmehr wird die verzweifelte „Hoffnung“ des Täters betont, „es könnte noch ein gemeinsames Eheleben möglich sein“. Also, großes Verständnis für den Mann.

Als Eltern erscheinen sie in der Öffentlichkeit wie ein Paar – sag bloß, sie benehmen sich einfach

Die Verantwortung wird immer wieder auf die Frau geschoben. Sie habe sich zwiespältig verhalten, verbringe immer noch Zeit mit ihm, würde nicht die nötige Distanz wahren, wie man das als Außenstehender doch vermuten würde. Es wird angenommen, dass dies wohl wegen der Kinder sei. Meine Güte. Natürlich! Es geht so unfassbar vielen Alleinerziehenden so, dass, wenn sie irgendwo mit dem Vater ihrer Kinder auftauchen, sie und er sich natürlich bestens benehmen, oder glaubt ihr wirklich, dass die beiden in aller Öffentlichkeit zanken, sich böse Blicke zuwerfen oder kein Wort miteinander wechseln? Da sind Kinder im Spiel und natürlich benehmen sie sich vor den Kindern und vor den anderen Erwachsenen! Wer sie nicht gut kennt, meint, sie wären noch ein Paar. Außerdem sind gerade Väter in solchen Situationen sehr darauf bedacht, als besonders fürsorglich und liebevoll zu erscheinen. Wieso wird das hier nicht deutlich angesprochen und erkannt? Hier eröffnet sich ein Horror-Theaterstück, das so viele Mütter erleben, wenn sie sich trennen. Und nichts davon wird hier sozialkritisch eingeordnet.

Bei so viel Harmonie konnte niemand was erahnen – ja, klar

Es sieht also nicht danach aus, als ob sich da über längere Zeit etwas angestaut hätte oder sich zusammenbraute, was dann in einer Katastrophe enden musste, so die Moderator:innen des Podcasts. Ach, Nein? Kein Stalking, kein Bedrängen, keine sexuelle Übergriffigkeit? An einer Stelle wird dann wenigstens gesagt, dass sie den Sex hat über sich ergehen lassen, damit er Ruhe gibt und alles nicht noch schlimmer wird. Vorher aber wird noch gesagt, sie habe sich trennen wollen, es aber nicht so recht geschafft. Bitte was? Also wollte sie die Nähe ja doch noch und sei selbst Schuld daran, dass es keine klaren Verhältnisse gegeben hätte? Mit einem narzisstisch gestörten Menschen gibt es keine klaren Verhältnisse! Da muss frau taktieren, um zu überleben, um mit diesem Menschen in ihrem Leben irgendwie klar zu kommen. Denn die beiden verbindet auf Lebzeiten die Kinder.

Nachdem das Gericht glücklicherweise erkannt hat, dass der Mann tatsächlich einen Mord geplant hatte, kommentieren die Moderator:innen süffisant, wenigstens eines sei jetzt sicher, die beiden seien nun endgültig geschieden. Ja, und? Das sagt einfach mal gar nichts. Gut möglich, dass er nach seiner Freilassung sie nun wieder belästigt. Durch die Kinder wird sie nie völlig von ihm getrennt sein können.

Was hat sie getan, dass er so ausrastet?

Nach einem Femizid wird immer wieder davon ausgegangen, dass die Frau der Auslöser ihrer eigenen Ermordung war. Zu wenig wird gefragt, warum der Mann zu einer solchen Tat fähig war oder warum ihn niemand stoppen konnte.

Wir haben 2025 unseren ersten Femizid in Deutschland. Es ist Hamburg, 2. Januar 2025, als ein 38-jähriger Mann seine gleichaltrige Frau mit einem Messer tödlich verletzt – vor den Augen des dreijährigen Kindes. Sie stirbt noch vor Ort.

Als ich mit Kolleg:innen und Bekannten darüber spreche, bekomme ich Fragen und Kommentare wie: „Was hat die Frau denn gemacht, dass der Mann so ausgerastet ist?“ „Egal, was sie getan hat, deswegen muss man nicht gleich zustechen.“ oder „Vermutlich war der Mann angetrunken, im Alkoholrausch kann so etwas leichter passieren.“ Ich bin schockiert. Denn, in all den Aussagen wird der Täter in Schutz genommen. Die Frau muss ihn gereizt haben, sie war der Auslöser, sie hat ihn zur Weißglut gebracht und außerdem war der arme Kerl vermutlich alkoholisiert. Da kann man schon mal zum Messer greifen und im Affekt zustechen – auch wenn sich das nicht gehört. Als ob das Abstechen seiner Frau ein Kavaliersdelikt sei. Wenig ehrenrührig, aber irgendwie verständlich. Nun ist es aber so: Frauen werden von ihren (Ex-)Partnern nicht ermordet, weil sie sich nicht benommen haben (was auch immer darunter zu verstehen ist). Sie werden getötet, weil sie Frauen sind. So einfach, so schlimm. Während in ausländischen Medien genau deshalb der Begriff Femizid in den Nachrichten erscheint, wird in Deutschland eine solche Tat noch immer nicht eindeutig benannt.

Keine Affekt-Handlung

Beschäftigt man sich mit Femiziden, dann wird schnell klar, solche Taten passiere selten im Affekt. Sie haben fast immer eine Vorgeschichte, teils voller Gewalt, und sie sind meist geplant. Die Tatwaffen werden beschafft, der Zeitpunkt und der Ort genau gewählt und die Frau im richtigen Moment abgepasst. Bis ein Mann die Tat ausführt, durchläuft die Beziehung zu seinem Opfer mehrere Phasen. Das sogenannte 8-Stufen-Modell wurde von der britischen Kriminologin Jane Monckton Smith aufgestellt. Auch gibt es mittlerweile einen Fragebogen zur Risikogefährdung von Frauen, anhand dessen sie oder die Polizei feststellen kann, ob ihr Partner vorhat, sie zu töten.

Unsere Omas waren noch im Besitz ihrer Ehemänner

Bevor hier der Eindruck entsteht, man würde alle Männer als grundlegend böse und frauenfeindlich einstufen, hier ein kurzer Disclaimer – wir leben in einer frauenfeindlichen Welt mit patriarchalen Strukturen, in den wir alle daran mitwirken, dass Mädchen und Frauen wirtschaftlich benachteiligt sind, somit in größerer Abhängigkeit leben und damit stärker Gewalt ausgesetzt sind. Und wir haben alle trotz Aufklärung und Fortschritt noch ziemlich klischeehafte Bilder von Mann und Frau und vor allem von Familie im Kopf. Unsere Omas waren noch „im Besitz“ ihrer Ehemänner, hatten kein eigenes Einkommen, wenn er es nicht wollte, waren damit wirtschaftlich völlig abhängig und durften erst 1977 frei einer Erwerbstätigkeit nachgehen, während sie das vorher nur durften, wenn sie ihre häuslichen Pflichten nicht vernachlässigten. Auch heute noch hängt die Care-Arbeit an Frauen, was dazu führt, dass sie oft nur Teilzeit arbeiten und über eine geringere wirtschaftliche Kraft verfügen. Das macht abhängig. Das Recht des Mannes, über die Ehefrau sexuell jederzeit verfügen zu dürfen, wurde erst 1997 abgeschafft, als die Vergewaltigung in der Ehe endlich als Straftat anerkannt wurde.

Trennung bedeutet Lebensgefahr

Gerade dieses geschichtlich noch bis heute nachwirkende Besitzdenken vieler Männer und die Angst vor Kontrollverlust, wenn die Frau ihn verlassen möchte, führen bei einigen dazu, dass sie für sich keine andere Lösung sehen, als die Frau zu töten. Wenn sie sie nicht haben können, dann keiner. Die Phasen bis zum Mord beginnen damit, dass der Mann die Frau in der Beziehung sehr früh sehr fest an sich bindet und schnell stärkere Kontrollmechanismen auffährt. Er möchte nicht, dass sie sich mit bestimmten Freund:innen trifft, will, dass sie den Kontakt zur eigenen Familie einschränkt. Er kontrolliert ihr Handy oder nimmt es ihr ganz weg. Manche tracken ihre Frau per GPS-Sender oder stalken sie auf dem Weg zur Arbeit oder zu Verabredungen. Wird es der Frau zu viel und sie trennt sich, dann ist das der Moment, in dem die Frau oft schon in Lebensgefahr schwebt. Die Trennung ist der sensibelste Moment für sie. Hier entsteht oft der sogenannte Trigger beim Mann, der dann zur Eskalation führt. Er bedrängt sie massiv, will sie umstimmen, zu ihm zurückzukehren. Kommt es dann zu einem erneuten Treffen, passiert es nicht selten, dass hier der Mann die Frau körperlich bedroht, bereits Gewalt anwendet oder sogar schon einen ersten Tötungsversuch unternimmt. Die Gefahr, dass der Täter nun – trotz polizeilicher Auflagen – einen tatsächlichen Mord plant, ist nun immens hoch. 

Durch alle Schichten hindurch

In Hamburg war es ein 38-jähriger Software-Manager, der seine gleichaltrige Frau, eine Managerin bei der Lufthansa, niederstach. „Was? Ich dachte, so etwas passiert nur in sozial schwachen Familien,“ so meine Nachbarin, als ich ihr die Berufe und das Alter der beiden nenne. Das zeigt, Gewalt gegen Frauen verläuft durch alle Schichten. Und es ist nicht einmal kultur- oder religionsspezifisch. Es existiert in jedem Land, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. In Europa werden die meisten Femizide in Deutschland gezählt, wobei die hohe Zahl mit der hohen Einwohnerzahl zusammenhängt. Die bevölkerungsbezogene Rate war jedoch in Griechenland am höchsten, gefolgt von Portugal und Malta.

Teil der Popkultur

Wie normal männliche Eifersucht und tödliche Liebe in unserer Gesellschaft erlebt wird, zeigt sich sehr deutlich in unserer Popkultur: Die Toten Hosen mit ihrem Lied „Alles aus Liebe“, „Under my thumb“ von Mick Jagger oder das gewaltverherrlichende Video von Maroon 5 zum Song „Like Animals“ sind nur einige Beispiele aus der Popmusik. In Filmen wie „Passengers“ oder der Literatur wie „Woyzeck“ wird Gewalt gegen Frauen in Beziehungen immer wieder romantisiert. Viele True Crime Podcasts tun derzeit ihr übriges.

Keine Einzelschicksale, keine Verzweiflungstat

Was bei der Berichterstattung immer wieder auffällt, ist, dass die Beziehungstaten oft als Einzelschicksale beschrieben werden. Immer wieder wird davon berichtet, dass es Beziehungsprobleme gegeben hätte, einen Streit, Rosenkrieg, ein Ehedrama, es sei eine Verzweiflungstat gewesen. Im jetzigen Fall in Hamburg wird der Frau sogar angedichtet, sie habe ihr Kind mit Kokain vergiften wollen. Dabei stirbt jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau durch ihren (Ex-)Partner. Und der Weg vom Beginn der Beziehung bis zur Tötung folgt immer gleichen Mustern. Es muss endlich erkannt werden, dass diese Taten gesellschaftlich einzubetten sind in unsere patriarchalen Strukturen. Es braucht ein Netzwerk, das Frauen, die sich von gewalttätigen Männern trennen wollen (das kann auch psychische oder finanzielle Gewalt sein), nach der Trennung auffängt und schützt, gerade, wenn Kinder mit im Spiel sind. Wir sollten endlich begreifen, dass dies der Grund ist, dass Frauen sich so lange nicht trennen und vor gewalttätigen Partner weglaufen, weil der Terror nach der Trennung oft noch schlimmer sein kann als davor – bis hin zum Mord.

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….Und jetzt, nachdem ich über diesen Fall nachdenke und mich mit dem 8-Stufen-Modell der Kriminologin Jane Monckton Smith beschäftigt habe, fällt mir ein, dass ich allein vier Mütter kenne, die nach der Trennung von ihren Männern immer noch psychische Gewalt erfahren und mit Drohungen konfrontiert werden. Zwar besteht bei ihnen mit Sicherheit keine Gefahr für Leib und Leben, aber die Kränkung des Mannes durch die Trennung der Frau hat extreme Nachwirkungen. Und das schlimmste, die Frauen haben immer wieder ein ungutes Gefühl, teils Angst, trauen sich nicht zu wehren, wollen ihre Kinder nicht gefährden und halten deswegen still.