Eine Mutter möchte keine Hilfe.

Ich bekomme mit, dass ich meine Nachbarin kaum noch sehe und wenn, dann hat sie tiefe Schatten unter den Augen, ein ganz blasses Gesicht. Und wenn ich durchs Treppenhaus gehe, höre ich ihren zwei Jahre alten Sohn sehr viel meckern und ihr neun Monate altes Baby unglaublich stark und lange schreien, manchmal bis tief in die Nacht. Ich weiß, dass sie eine sehr liebevolle und fürsorgliche Mutter ist, aber auch nach außen kaum zeigt, wie es ihr wirklich geht. Sie ist immer schick gekleidet und nach außen sieht alles stets perfekt aus, aber wie ihr Innenleben aussieht, weiß niemand so recht. Also schreibe ich ihr eine Nachricht und biete ihr Hilfe an, weil ich mir Sorgen um sie mache. Sie wirkt am Rande ihrer Kräfte, hat zwei sehr herausfordernde Kinder und außer ihrem Mann keine weiteren helfenden Hände. Kindermädchen will sie nicht, Großeltern sind nicht in der Nähe, alles ist auf Rand genäht. Und dann kommt ihre Antwort: „Bitte melde dich nicht, das setzt mich unter Druck. Du triffst mit Deinem Hilfsangebot einen wunden Punkt.“ …

Ich hatte ihr angeboten, mal ein Kind abzunehmen oder den Einkauf zu erledigen. Auch hatte ich ihr bereits Mittagessen vor die Tür gestellt. Aber statt ihr damit das Gefühl geben zu können, Du bist nicht allein, löst es in ihr folgendes aus: Versagensangst. Sie, die Mutter, bekommt es nicht gebacken, sich vollumfänglich um ihre beiden Kinder zu kümmern, dass sie durchweg lachende, gutgelaunte Wesen sind, sondern ganz im Gegenteil, unheimlich laut, protestierend, trotzig und fordernd. Und sie weiß kaum noch, wie sie ihnen Herr (Frau) werden soll, wie sie ihnen gerecht werden kann, wie sie die Kraft für dieses Dauergeschrei aufbringen soll. Dabei trägt sie an all dem keine Schuld! Aber sie glaubt, es sei so. Sie glaubt, sie habe versagt, sie glaubt, sie sei nicht in der Lage, zwei pflegeleichte Kinder vorzeigen zu können, während es andere Frauen doch auch schaffen.

Es bricht mir das Herz, ihre Nachricht zu lesen, in der sie jegliche Hilfe ablehnt, nicht, weil sie diese ggf. dringend gebrauchen könnte, sondern weil sie sich so schämt für ihr angebliches Unvermögen, als Mutter perfekt zu perfomen. Als ich ihr Mittagessen vor die Tür gestellt hatte, stand am nächsten Morgen der perfekt geputzte Topf wieder vor meiner Tür mit einer riesigen Packung Merci darin. Sie hatte sich also auch noch damit gestresst, mir ihren Dank zu zeigen, den Topf innerhalb kürzester Zeit zu wienern und auch noch ein Geschenk zu besorgen. Diese Erlebnisse haben mir gezeigt, wie ein Hilfsangebot nach hinten losgehen kann, wenn internalisierte Ideologien über Muttersein, ja internalisierte Misogynie verhindern, Hilfe in einer so extremen Situation annehmen zu können.

Auch ich habe als Frau dann an mir selbst gezweifelt und mich gefragt, ob sie einfach nur von mir keine Hilfe möchte und ich vielleicht die falsche Person bin, die ihr da ein Angebot macht und sie mit mir nichts zu tun haben möchte. Doch dann habe ich auch von zwei anderen Müttern erfahren, die ihr ebenfalls schon unter die Arme greifen wollten, dass auch sie von ihr abgewiesen wurden mit Entschuldigungen und Schamesröte. Das macht mich so unfassbar traurig. Wie viele Mütter leiden im Stillen, weil sie meinen, alles allein schaffen zu müssen?

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